Wagenplätze – für die Stadtökologie so wertvoll wie Kleingärten

Können Wagenplätze eine ökologische Variante in der Stadt- und Bauplanung darstellen? Oft bestehen Vorbehalte gegen diese Form des Wohnens angesichts herrschender Flächenknappheit für Wohn- und soziale Bauten. Andererseits gibt es in Boomtown Leipzig inzwischen auch einen erheblichen Mangel an Freiflächen und Grünarealen. Und mit zunehmender Einheitsbebauung auch einen Verlust an Diversität – sei es in der Natur oder in den Lebensentwürfen der Menschen.
Viele Wagenplätze sind Biodiversitätsinseln, besonders in Städten mit hohem Baudruck. Einer davon ist der Wagenplatz KarlHelga im Leipziger Westen, eine grüne Oase inmitten eines durch Wohn- und Gewerbebebauung geprägten ehemaligen Industriegebiets. Die unversiegelte, renaturierte Freifläche bietet zahlreichen geschützten Tier- und Pflanzenarten einen Lebensraum. Neben einer großen Zahl an Bäumen gibt es Totholzhaufen, Wildblumen, Bienen und Hochbeete. In das üppige Grün eingebettet stehen rund 60 Wagen, darunter einige liebevoll sanierte alte Zirkuswagen, in denen die rund 70 Bewohner*innen, darunter 11 Kinder, selbstverwaltet leben. Aus stadtklimatischer und ökologischer Sicht ist der Platz mit einer Gartensparte vergleichbar, nur dass die Häuschen hier Räder haben, es keine zusätzliche „Hauptwohnung“ gibt und der Natur mehr Raum verbleibt.
„Als soziokulturelles Projekt sind wir seit über 14 Jahren im Viertel gewachsen und verwurzelt“ erklärt Birte vom Wagenplatz „als sozialer und kultureller Begegnungs- und Veranstaltungsort tragen wir zu Vielfalt und gesellschaftlichem Zusammenhalt bei. Dabei sind uns soziale, ökologisch-nachhaltige und kulturelle Aspekte wichtig.“ Als kultureller Veranstaltungsort bietet der Wagenplatz Konzerte, Theater, Ausstellungen und Kino-Abende an. Die Bewohner*innen legen großen Wert auf eine ressourcenschonende, nachhaltige und umweltgerechte Lebensweise. So versorgen sich möglichst viele autark aus erneuerbaren Energien, wie Solar- und Windkraft mit Strom. Beim Bau der Wagen in Eigenarbeit wird größtenteils recycelt und wiederverwertet und somit Ressourcen und Emissionen gespart. Auch beim Wasserverbrauch sind die Bewohner*innen äußerst sparsam, schon dadurch, dass Wasser auf dem Platz nicht endlos verfügbar ist und herangeschafft werden muss. Eine vierköpfige Familie verbraucht hier im Schnitt ca. 120 L Wasser in der Woche, das entspricht dem angegeben Durchschnittswert des täglichen Pro-Kopf-Verbrauchs in Leipzig. Das Areal wird von den Bewohner*innen in Form der Allmende gemeinsam entwickelt und genutzt. Eine Lebens- und Wohnform, die sozialer, solidarischer und ökologischer ist als das Eigenheim am Stadtrand oder die 80 m2 Mietwohnung.
In dem Hitze-belasteten Gebiet rund um den Plagwitzer Bürgerbahnhof leistet KarlHelga einen wichtigen Beitrag für das Mikroklima: durch kühlende Verdunstung, Versickerung und Regenwasserbildung sowie als Kalt- und Frischluftkanal. Der Wagenplatz in seiner jetzigen Form hat nicht allein dadurch einen hohen Wert für die Menschen im Viertel und die zahlreichen Besucher*innen des Bürgerbahnhofs.
Wir vom BUND lieben Vielfalt und dazu gehört auch die Vielfalt von Wohnformen. Deshalb sagen wir Ja zu Wagenplätzen. Sie sollen gezielt als alternative Wohn- und Lebensform in die Stadtplanung integriert werden, damit bunte und lebendige Viertel erhalten bleiben und Leipzig sich nicht noch weiter zur teuren Schlafstadt entwickelt.
Von Bebauung bedroht
Auch wenn der Wagenplatz KarlHelga für die Stadt vergleichbar ökologische Leistungen erbringt wie Kleingärten, liegen rechtlich doch Welten dazwischen. Denn die Fläche ist privates Bauland. Laut Flächennutzungsplan und dem Aufstellungsbeschluss zum Bebauungsplan (B-plan) Nr. 428 ist hier Bebauung eines Gewerbegebiets möglich.
Im Jahr 2020 wurde das Wagenplatz-Gelände von der früheren Besitzerin an den Immobilienentwickler CG Elementum (eine Tochter des Gröner-Unternehmens CG Group) verkauft und der seit 2008 bestehende Pachtvertrag mit KarlHelga gekündigt - ungeachtet jahrelanger Versuche der Bewohner*innen, das Gelände selbst zu kaufen. Die CG Elementum hatte zunächst den Bau einer Logistikhalle geplant, befindet sich aber aktuell im Insolvenzverfahren.
Seitdem bemühen sich die Wagenplatzbewohner*innen nach Kräften, die Fläche vor Rodung, Spekulation und Überbauung zu schützen. Eine Petition mit mehr als 10.000 Unterstützer*innen brachte Anfang 2024 vor dem Leipziger Stadtrat einen Teilerfolg: der Aufstellungsbeschluss zum B-Plan Nr. 428 „Gewerbegebiet Plagwitz Süd/Markranstädter Straße“ (VI-DS-05257) wurde um folgendes Ziel ergänzt:
- Interessenausgleich zwischen den Eigentümerbelangen, den Nutzerbelangen und den Belangen des Lokalklimas (Anpassung an den Klimawandel)
„Im Planverfahren soll geprüft werden, wie unter Berücksichtigung der bestehenden stadtökologischen und stadtklimatischen Bedingungen die städtebauliche Entwicklung durch das Maß der baulichen Dichte, der Stellung und Höhe baulicher Anlagen sowie durch Klimaanpassungsmaßnahmen so gesteuert werden kann, dass für die angrenzenden Stadtquartiere positive Auswirkungen zu erwarten sind. In Abhängigkeit davon soll - im Interesse des sachgerechten Ausgleichs zwischen den Eigentümerbelangen, Nutzerbelangen und den Belangen des Lokalklimas – weiter geprüft werden, inwieweit für welche (Teil-)Flächen des Plangebietes
• die Freihaltung von baulicher Nutzung und stattdessen die Schaffung frei zugänglicher öffentlicher Grünflächen (Freiraum- und Erholungsflächen),
• die Freihaltung von baulicher Nutzung und stattdessen die Begrünung auf privaten Baugrundstücken,
• die angestrebte, vorwiegend gewerbliche bauliche Entwicklung auf privaten Baugrundstücken oder
• die dauerhafte Sicherung vorhandener, im Einklang mit bestehenden Biotopstrukturen ausgeübter Nutzungen sachgerecht ist.“